KZ Buchenwald oder Gedenkstätte Buchenwald, wie es offiziell heißt, ist sicherlich kein klassisches Hurra-Ausflugziel. Aber es gehört zur Geschichte von Weimar dazu wie Goethe und Schiller. Und es prägt einen: einige Eindrücke vergesse ich sicherlich niemals.
Bereits die Anreise mit dem öffentlichen Nahverkehr hat es in sich: Während der etwa 20-minütigen Busfahrt vom Hauptbahnhof Weimar zur Gedenkstätte Buchenwald denke ich mir öfter mal „Hier hört Dich wirklich keiner schreien!“ Dass die Straße auf den Ettersberg, auf dem das ehemalige KZ liegt, Blutstraße heißt und durch einen dichten, dunklen Wald führt, macht die Sache nicht besser. Ich kann nur erahnen, dass dies der Anfang einer langen Latte an Eindrücken ist. So ist es. Und weil es kaum möglich ist, alle Emotionen und Erlebnisse in halbwegs nachvollziehbare Worte zu fassen, versuche ich es mit den Top-3-Umständen, die mich in der Gedenkstätte Buchenwald am meisten „beeindrucken“ (eher „schocken“, siehe auch Bildergalerie weiter unten). 1) Dass hier Leute verbrannt werden, ist nicht neu. Aber die Tatsache, dass die Menschen, die im Krematorium „arbeiten“ aufgrund von Seuchengefahr nie das Tageslicht sehen und deshalb auch gleich im Krematorium leben müssen. Und natürlich sterben. Wie absurd. Dass diese Menschen während ihrer „Arbeit“ den einen oder anderen Verwandten verbrennen, setzt dem Ganzen die Krone auf. 2) Den KZ-Spruch „Arbeit macht frei“ hast Du vielleicht schonmal gehört, steht u. a. am Eingangstor von KZ Auschwitz. KZ Buchenwald hat seinen ganz eigenen Claim: „Jedem das Seine“ Anders dabei ist allerdings, dass Du die Aufschrift „Jedem das Seine“ – im Gegensatz zu „Arbeit macht frei“ – nicht von außen, sondern von innen lesen kannst bzw. musst. Das ist vom ehemaligen KZ-Leiter so gewollt, um die Gefangenen bei jedem Morgen- und Straf-Appell daran zu erinnern, dass sie genau das bekommen, was sie verdient haben. Krasse Denke. 3) Dass die Nazis bekannt sind für ihre grausamen Haft- und Foltermethoden, ist auch nicht neu. Wenn Du allerdings selbst vor bzw. hinter einer Genickschuss-Anlage stehst, sieht die Welt ein wenig anders aus: Sie ist getarnt als Station zur Messung der Körpergröße, d. h. den Gefangenen wird suggeriert, dass sie beim Arzt ausgemessen werden, sie stellen sich mit dem Rücken an die Messlatte, dahinter öffnet der böse Bube einen kleinen Spalt und peng, ist es vorbei. Meine Gefühlswelt schwankt zwischen krank-genial und unwürdig-skrupellos. Krass, einfach krass.
Das Konzentrationslager Buchenwald, heute Gedenkstätte Buchenwald, ist von Juli 1937 bis April 1945 eines der größten Konzentrationslager auf deutschem Boden. Mehr als 250.000 Menschen aus aller Herren Länder sind während dieser Zeit im sogenannten „Arbeitslager“ unterbracht. Durch einen Aufstand im April 1945 übernehmen Häftlinge die Leitung des Lagers, nehmen ihre Bewacher fest und hissen die weiße Fahne. Nach Abzug der US-Truppen werden Teile des Geländes bis 1950 von der sowjetischen Besatzungsmacht als Speziallager Nr. 2 genutzt – für einige Inhaftierte quasi vom Regen in die Traufe. Insgesamt sterben hier rund 56.000 Menschen, darunter etwa 15.000 Sowjets, 12.000 Juden und 7.000 Polen sowie eine hohe Dunkelziffer politisch Verfolgter, religiös Anders-Orientierter und Homosexueller. Bis heute sind gerade einmal 36.000 Opfer identifiziert und namentlich zuordenbar. Krasse Vorstellung. Heute befinden sich in der 1991 neu gestalteten Gedenkstätte Buchenwald viele Ausstellungen zur Geschichte des Konzentrationslagers.
Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald
Bei den Massengräbern des KZ am Südhang des Ettersberges errichtet die DDR 1958 ein weithin sichtbares KZ-Denkmal. Seine Monumentalität soll zwar auch das Ausmaß der Buchenwalder Verbrechen widerspiegeln, doch der DDR dient es vorrangig als Nationaldenkmal. Im Zentrum stehen die deutschen kommunistischen Widerstandskämpfer. Mit ihrer Geschichte soll der Führungsanspruch der SED in der DDR legitimiert werden. Die „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ wird mit Ausstellungen, Archiv und Bibliothek zur größten deutschen KZ-Gedenkstätte ausgebaut.
Neukonzeption der Gedenkstätte Buchenwald
Die 1958 eingeweihte Nationale Mahn- und Gedenkstätte (NMG) Buchenwald war als Nationaldenkmal der DDR geplant worden, der Widerstandskampf der kommunistischen Häftlinge wurde überbetont. Dabei wurde weitgehend ausgeblendet, dass die SS im KZ Buchenwald noch zahlreiche andere Häftlingsgruppen festgehalten hatte: rassistisch Verfolgte (Juden sowie Sinti und Roma), „Gemeinschaftsfremde“ (sogenannte Arbeitsscheue, Asoziale, Gewohnheitsverbrecher und Homosexuelle), Zeugen Jehovas sowie Frauen, die in Außenlagern des KZ Buchenwald Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten mussten. Hinzu kam die weitgehende Tabuisierung der Existenz und Geschichte des sowjetischen Speziallagers Buchenwald. Vor diesem Hintergrund war es nach dem Untergang der DDR erforderlich, die Gedenkstätte Buchenwald umfassend neu zu konzipieren. Bereits im November 1989 entwickelten Mitarbeiter der NMG Buchenwald ein neues Arbeitskonzept. Im September 1991 wurden dann die Leitlinien der Neukonzeption von einer vom thüringischen Wissenschaftsminister berufenen Historiker-Kommission formuliert:
Es soll sowohl an das NS-Konzentrationslager als auch an das sowjetische Speziallager Nr. 2 erinnert werden.
Der Schwerpunkt soll auf dem Konzentrationslager liegen.
Die Erinnerung an das Speziallager Nr. 2 soll nachgeordnet werden.
Die Erinnerungsstätten sollen räumlich deutlich voneinander getrennt sein.[…] Die von der Parteilichkeit der DDR-Geschichtsschreibung geprägte Dauerausstellung muss auf der Grundlage des Forschungsstandes neu konzipiert und neu gestaltet werden. […] Für die weitere Gestaltung einer Gedenkstätte zum Speziallager Nr. 2, für eine Ausstellung bzw. Dokumentation sind weitere Aufklärungen und langfristige Forschungsarbeit nötig.[…] Die Kommission empfiehlt, die politische Vorgeschichte und Geschichte der NMG Buchenwald 1950–1990, ihre Gestaltung durch die DDR, ihre Verwendung zum Zweck der Staatspropaganda und ihre politische Instrumentalisierung in einem weiteren Kontext durch eine Dokumentation sichtbar zu machen.
In einer späteren Sitzung empfahl die Kommission, dass für „die Ausstellung, die an das Speziallager erinnert, ein neues Gebäude errichtet werden soll. Der Bau soll flach gehalten werden. Er soll in dem Areal unterhalb des Gebäudes der Effektenkammer und der Desinfektion seinen Platz finden, wo das Lager an das Gräberfeld grenzt.“ Empfohlen wurde die Änderung des Namens Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald in Gedenkstätte Buchenwald.
Preise/Öffnungszeiten Gedenkstätte Buchenwald
Der Besuch der Gedenkstätte Buchenwald und der Ausstellungen ist kostenlos (!), was mich überrascht. Der Förderverein der Gedenkstätte bittet lediglich um eine freiwillige Spende zur Unterstützung, wobei ich nicht lange überlege. Die Arbeit der Freiwilligen unterstütze ich natürlich gerne. Die Teilnahme an Führungen (Dienstag bis Sonntag, etwa viermal täglich) kostet anscheinend etwas, aber ich bin ausnahmsweise lieber alleine und ohne Führung unterwegs. Einsamkeit sorgt hier für eine ganz eigene Stimmung. Die Außenanlagen mit ehemaligem Häftlingslager, SS-Bereich, Mahnmalsanlage und den Gräberfelder des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 kann täglich (außer montags) bis zum Einbruch der Dunkelheit besichtigt werden (in der Regel von 9 bis 17 Uhr). Solch eine Gedenkstätte ist allerdings kein Kinderspielplatz, daher empfehlen die Mitarbeiter ein Alter von mindestens 12 Jahren (bei Führungen: mindestens 15 Jahre).
Kann ich Gedenkstätte Buchenwald empfehlen?
Gedenkstätte Buchenwald ist ein klares Muss. Obwohl es natürlich keine klassische Sehenswürdigkeit in Weimar ist, gehört es einfach zur (deutschen) Geschichte mit dazu. Bin mir nicht ganz sicher, ob man ein paar Jährchen älter sein muss, um die ganzen Eindrücke besser verstehen und einordnen zu können. Sicher ist, dass ich im Erwachsenenalter wesentlich mehr rausziehen kann als beim (aufgezwungenen) Klassenausflug nach Dachau oder Auschwitz. Wie auch immer: Wenn Du Urlaub in Weimar oder Umgebung machst, dann solltest Du für den Besuch der Gedenkstätte Buchenwald gut und gerne 3 Stunden einplanen – zum einen wegen der unglaublich weitläufigen Anlage, zum anderen wegen des vielen Inputs. Und um das Ganze zu einem Komplett-Erlebnis abzurunden, empfehle ich Dir die Anreise per Bus. Quasi mitten durch den Buchenwald. Da, wo Dich wirklich niemand schreien hört. Niemals.
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