Ganz Frankfurt ist vom Mainstream besetzt … Ganz Frankfurt? Nein! Eine von unbeugsamen Einzelhändlern bevölkerte Gasse hört nicht auf, Widerstand zu leisten, allen voran das Traditionsgeschäft Wächtershäuser.
„Seitdem es die gibt, verkaufen wir weniger Flicken.“ Mit ‚die‘ meint Chefin Sibylle Zolles den Primark auf der parallel verlaufenden Zeil, der Frankfurter Einkaufsmeile schlechthin. „Die Muttis kaufen dort lieber ne Kinderjeans für 3,50 Euro statt nen Flicken für 3 Euro, den sie dann ja auch noch selbst drauf machen müssen.“
„Das ist eine bedenkliche Entwicklung, aber es gibt glücklicherweise auch Menschen, die nachhaltiger denken und Klamotten nicht gleich nach ein paar Wochen wegwerfen.“ Und genau diese Menschen finden ihr Glück bei Wächtershäuser: Knöpfe und Reißverschlüsse gehen geschlechter-unabhängig sehr häufig über die Ladentheke, Sockenhalter vor allem bei jungen Männern: „Die laufen in Frankfurt besonders gut, wegen den ganzen Schlipsträgern“, sagt Sibylle mit einem Augenwinkern.
Seit 1822 gibt es den Laden für Nähzutaten, Schneiderbedarf und Kurzwaren, Sibylle übernimmt 1998 das Geschäft. Eine Herzensangelegenheit, denn in den 80ern macht sie hier ihre Ausbildung, außerdem ist der einstige Besitzer ein Freund der Familie.
„Ich möchte, dass der Laden weiterbesteht. Es ist ne uralte Tradition„, wirft die Chefin einen leicht besorgten Blick in die Wächtershäuser’sche Glaskugel, „aber innerstädtische Ladenzeilen wird es auch in 20, 30, 40 Jahren noch geben. Ich glaube nicht, dass das klassische Ladengeschäft so bald ausstirbt.“ Möge sie Recht haben.
Falls du Schubladendenker bist und deswegen glaubst, dass hier nur Frauen auf Näh-chstenliebe aus sind, dann liegst du falsch. „Wir haben Tage, an denen fast nur Männer kommen. Die meisten fangen an zu nähen, weil sie keinen Bock haben auf diesen ganzen Mainstream“, so Sibylle. Sie ergänzt: „Männer sind ehrgeiziger. Während Mädels sich Einkaufstaschen nähen, und noch ne Tasche, und noch ne dritte Tasche, wollen Jungs das Handwerk richtig lernen, um bspw. Knöpfe von Sakkos auszutauschen.“
„Unsere Kunden möchten was anders machen und wenn schon ein billiges Teil, dann soll es wenigstens individuell aussehen“, weiß die Frankfurter Auf-Schneiderin. Ihre älteste Stammkundin ist 85 Jahre alt, kommt mindestens einmal pro Woche zu Wächtershäuser, und schneidert sich ihre langen Mäntel und feinen Kleider immer noch selbst.
Wächtershäuser liegt in der Töngesgasse, die parallel zur Frankfurter Einkaufsmeile verläuft. Zu dieser Parallelgesellschaft hat Sibylle eine klare Meinung: „Die Zeil ist das große Beispiel, wie es ganz schrecklich ist: 0815. Ist in jeder Innenstadt das Gleiche, es hat nichts mehr Individuelles. Das ist das Tolle an der Töngesgasse, hier sind wir nämlich individuell und anders. Wir haben nur kleine Läden, die für einmaliges Einkaufserlebnis stehen.“
Fazit Wächtershäuser Frankfurt
Der Laden um Chefin Sibylle ist die perfekte Stimme für den Frankfurter Einzelhandel: Wächtershäuser hat Tradition, lebt Individualität und stemmt sich innerlich gegen die herannahende Gefahr durch die großen Ketten auf der Zeil. Falls du nen Städtetrip nach Frankfurt planst oder sonstwie Urlaub in der Gegend machst, dann empfehle ich dir nen Blick in ein echtes Frankfurter Traditionsgeschäft – auch wenn du keinen Knopf, Sockenhalter oder gallisches Seemannsgarn brauchst… 🙂