Auf dem Kasseler Ortsschild steht es unübersehbar: „documenta-Stadt“. Die Kunstausstellung ist ein wichtiger Part für die Hessenmetropole. Nur alle fünf Jahre findet sie statt: 2017, zur documenta 14, bin ich am Start.
Während Kassel als Nabel von Deutschland gilt, gilt der Friedrichsplatz als Nabel von Kassel. Zur documenta 14 befindet sich hier der zentrale Kunstumschlagplatz mit vielen Art-Junkies. DAS Kunstobjekt schlechthin – für mich aber eigentlich nur, weil es auf eben jenem Nabel steht – ist das „Parthenon der Bücher“.
Das Kunstwerk der argentinischen Künstlerin Marta Minujín zeigt verbotene Bücher von teils bekannten Autoren. Schlecht: der geneigte Draufschauer erfährt nicht auf Anhieb, in welchem Land welche Werke warum verboten sind. Bis zur Eröffnung der documenta 14 werden für das Projekt rund 50.000 Bücher von Spendern, Buchhändlern und Verlagen zur Verfügung gestellt.
Zu wenig Bücher für das Parthenon
Leider sollen es laut Idee der Künstler doppelt so viele sein, was das Parthenon nun leider unfertig aussehen lässt. Für Wikifreunde: der griechische Büchertempel ist 14 m hoch und nimmt eine Fläche von mehr als 2.000 qm ein. Direkt gegenüber befindet sich das Fridericianum (ausgesprochen: Friderizianum).
Seit der ersten documenta 1955 ist das Fridericanum Mittelpunkt jeder weiteren Kassel-Kunstausstellung. Zur documenta 14 zeigt die Ausstellung erstmals in Deutschland „EMST“-Kunst, also Werke des Nationalen Museums für Zeitgenössische Kunst in Athen. Ela re Malaka! Obwohl ich nicht sooo der Kunst-Hannes bin, finde ich die Ausstellung ganz nice. Sobald du das Fridericanum verlässt, wartet das nächste Highlight nur den berühmten Katzensprung entfernt. Habemus Kassel papam, weißer Rauch steigt auf!
Grund genug für einige besorgte Bürger, mehrfach am Tag die Feuerwehr zu rufen. An sich eine gute Idee, aber eben nur, wenn es wirklich brennt. Die Installation auf dem Zwehrenturm raucht allerdings die ganze Zeit, denn auch sie ist Teil der documenta 14. Fünf Rauchmaschinen blasen den ganzen Tag über mehr Nebel in die Luft als alle Kasseler Grasfreunde zusammen. Die ehemalige Stadtbefestigung dient Künstler Daniel Knorr als Plattform für sein „Expiration Movement“.
Vom Rauch zur Röhre
Falls du mal wieder erfolgreich in die Röhre schauen möchtest, dann findest du zwischen Parthenon und documenta-Halle das Kunstwerk von Hiwa K. Der irakisch-deutsche Künstler bastelt 5 x 4 Abwasserrohre zu einem großen Quader zusammen. Die einzelnen Röhren sind gemütlich eingerichtet – mit Büchern, Pflanzen und Gebetsteppich. Sie symbolisieren die Enge und das Leben in der Horizontalen, das Flüchtlinge wochenlang durchleben müssen.
Last but not least am Friedrichsplatz: die documenta-Halle. Zumindest vom Namen nach ist sie der wichtigste Ort der Kunstausstellung, inhaltlich eher nicht so. Gerüchten zufolge erfüllt die Halle zwischen dem Alle-5-Jahre-documenta-Rhythmus keinen Zweck und steht größtenteils ungenutzt leer. Offiziell gilt sie außerhalb der documenta-Zeit als Location für Kongresse, Tagungen und Events.
Ich persönlich kann mit den Werken in der documenta-Halle wenig anfangen. Kann nicht genau belegen, warum. Einfach so ein Gefühl. Hier zieht sich, wie übrigens auf der gesamten documenta 14, das Thema „Flucht und Flüchtlinge“ wie ein roter Faden durch die Kunstwerke. Auf der Wiese vor der Orangerie in der Karlsaue wird der Faden noch etwas roter.
Die „Mühle des Blutes“ (orig. „Mill of Blood“) ist ein interaktives Exponat, das an Sklavenarbeit erinnert. Du stellst dich rein, läufst und drehst an den Mühlenrädern. Obacht: Bereits am ersten documenta-Wochenende kommt es zu einer Verhakung im Getriebe, weil einer der documenta-Besucher die Blut-Mühle in die falsche Richtung dreht. 🙂
Die Mühle des Blutes
Die Mühle des mexikanischen Künstlers Antonio Vega Macotela gilt als Hybrid zwischen Skulptur und mechanischem Apparat, an dem der Künstler seit 2010 arbeitet. Laut offiziellen Angaben sei das Kunstwerk in seiner jetzigen Form und Dimension noch nie umgesetzt worden. Inzwischen ist das Werk Highlight und Zuschauermagnet in einem. Noch mehr Höhepunkte sind die Überbleibsel von früheren documentas…
…dazu gehören der Penone-Baum (documenta 13, erstes Foto), der Himmelsstürmer am Kasseler Hauptbahnhof (documenta 9, zweites Foto) und das Ich-Denkmal (documenta 12, drittes Foto) mit dem höchsten Selbstverwirklichungswert aller Ausstellungswerke. 🙂 Direkt gegenüber des Ich-Denkmals am Brüder-Grimm-Platz befindet sich die Torwache, die zur documenta 14 in Jutesäcke gehüllt ist.
Schuld daran trägt der ghanaische Künstler Ibrahim Mahama. Zur Verhüllung der beiden Torwachen-Gebäude legt der Meister sogar selbst Hand an. Seine Jutesack-Collage erzählt unterschiedlich Geschichten – von der Bedeutung des globalen Handels über individuelle Erzählungen von Besitz und Enteignung bis hin zu Stories über Migration.
Mein Liebling: der ex-Bahnhof
Ich mag unterirdische Dinge und Bahnhöfe. Ein unterirdischer, nun stillgelegter, Bahnhof ist daher genau mein Ding. Für die documenta 14 öffnet die Stadt Kassel einen Abschnitt ihres ehemaligen Hauptbahnhofs.
Wer Weg in den Untergrund beginnt in einem Baucontainer am Hauptbahnhof. Der sogenannte KulturBahnhof, dessen Tunnel seit 2005 stillgelegt sind, dient als Ort mit Tiefgang. Verschiedene Künstler bilden Eigenschaften wie Lernen, Bildung und Trostlosigkeit ab. Wo Schatten, da bekanntlich auch Licht: Das Licht am Ende des Tunnels weist dir den erleuchteten Weg hinaus und führt dich weiter zu noch mehr Sehenswürdigkeiten in Kassel.
Fazit documenta 14 Kassel
Solltest du mal gesehen haben. Vor allem, weil das – über die ganze Stadt verteilte – Kunstprojekt nur alle fünf Jahre stattfindet. Spielt keine Rolle, ob du ein Kunstfreak vor dem Herrn bist oder – so wie ich – Kunst einfach auf dich zukommen lässt. Ein Tagesticket kostet 22 Euro, damit hast du Zutritt in alle Museen. Die meisten Draußen-Kunstwerke lassen sich kostenlos besichtigen. Die Stimmung dort ist friedlich und die Atmosphäre ziemlich gediegen. I like. Falls du es bis September 2017 nicht nach Kassel schaffst, dann mach dir schonmal einen Haken im Kalender – 2022. 🙂
Mein Tipp: Wenn du vor lauter Kunst den Kopf frei brauchst, dann begib dich in den Kasseler Bergpark. Gehe nicht über Los, ziehe keine 4.000 Euro ein. Wenn dann noch die Wasserspiele stattfinden, erlebst du was richtig Schönes. Schön auf seine Art und Weise ist das Museum für Sepulkralkultur. Noch nie gehört? Und falls du kurz und schmerzlos alle Sehenswürdigkeiten in Kassel auf einen Blick suchst, dann empfehle ich dir diesen Artikel.
Ein toller Bericht! Ich habe auch Documenta 14 besucht und habe gefunden, dass „Parthenon der Bücher“ sehr massiv ist. Als jemand, der täglich mit Gerüstbau arbeitet, ist mir sehr interessant, was die Künstlerin mit diesem Material gemacht hat.
(URL entfernt / Jan)
Da hast du absolut Recht, Flo. Finde es erstaunlich, dass du es schaffst, eine Brücke vom Parthenon zum Thema Gerüstbau zu schlagen. Alleine das macht DICH schon zur Künstlerin. 🙂 LG Jan