50 km wandern in 12 Stunden? Meine Freunde erklären mich für verrückt: „Willst du zur Bundeswehr?“ Hauptdarsteller beim Megamarsch Stuttgart ist allerdings meine Achillessehne. Erlebnisbericht mit Hang zur Masochie.
6 Uhr morgens, der Wecker klingelt. Obwohl der Megamarsch erst in zwei Stunden losgeht, möchte ich früher am Start sein. Stimmung vor Ort aufsaugen und so. Meine eigene Stimmung ist vorerst im Eimer: Die linke Achillessehne macht mir schon seit drei Wochen zu schaffen. Außerdem geht die Sonne erst in rund einer halbe Stunde auf. 6.48 Uhr, Melatonin-Effekt Fehlanzeige.
Abmarsch
7.30 Uhr, Cannstatter Wasen. Direkt neben den Abbaustellen des schwäbischen Oktoberfests stellen sich die Teilnehmer auf. 1.500 Lauflustige wollen 50 km durchs Ländle megamarschieren, 1.400 davon werden am Ende des Tages ankommen. Vom Gedanken an den Zieleinlauf bin ich dank Achilles mega-meilenweit entfernt. Mein persönliches Ziel: die Hälfte der Strecke absolvieren oder – wenn es gut läuft – die 42-km-Marathonstrecke voll machen.
7.57 Uhr: Kurz vor dem offiziellen Start um 8 Uhr liegt Spannung in der Luft. Nervosität, Ungeduld und Euphorie vermischen sich im Stuttgarter Feinstaub zu echter Aufbruchstimmung. Mehr oder weniger pünktlich landet der klassische Runterzähl-Countdown bei Null: Die erste Welle mit 300 Megamarschierern setzt sich in Bewegung, ich mittendrin.
Die ersten Meter führen vom Cannstatter Wasen über die Talstraße Richtung Gaskessel. Hier werden Euphorie und Menschenmasse zum ersten Mal gebremst, denn Brücke und Treppe zum Neckar sehen vermutlich zum ersten Mal so viele Leute gleichzeitig. Aber hey, nur noch 49,5 Kilometer… 🙂
Der „Schwabenmarsch“ ist mein Heimspiel, denn ich wohne im Stuttgarter Speckgürtel. Trotzdem ist der Weg am Neckarufer entlang echt keine gute Werbung für Stuggibuggi-Benztown. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die mitlaufenden Bayern, Franken oder Schweizer nach dem Megamarsch Stuttgart sagen: „Hey, hier möchte ich mal auf Städtereise hin.“ Schade.
Vom Weinberg zum Wein-Berg
Schöner als der Feinstaubkessel ist auf jeden Fall das frische Remstal – auch wenn der erste, steile Aufstieg auf den Kesselrand die Schweißporen mächtig aktiviert. Dafür sind die Weinberge eine tipptopp Kulisse. Ich genieße die Schönheit der Gegend allerdings noch nicht: Die Achillessehne meldet sich zum ersten Mal massiv zu Wort und möchte heim. Da es ohne (oder mit nur einer) Achillessehne schwierig werden könnte, ziehe ich sie mit. Aua!
Um Weinbergkoller zu vermeiden, schicken uns die Megamarsch-Macher zwischendurch in eine Stadt äh ein Städtle. 🙂 In Kernen im Remstal treffe ich nach vielen Weinreben endlich wieder auf Zivilisation im Form von Tour-de-France-Lookalike-Fans, die ein paar einheimische Mitwanderer anfeuern.
Die meisten Einwohner sind skeptisch und begleiten uns Läufer mit ungläubigen Blicken und Nachfragen, was wir denn hier tun. So viel bunte Funktionskleidung kommt hier sonst wohl nicht durch. Highlight in bzw. oberhalb von Kernen ist die Yburg, ursprünglich Eibenburg. Der „Burgruinenwürfel“ ist dank seiner Hanglage mitten in den Weinbergen ein beliebtes Ausflugsziel.
„Die meisten Höhenmeter“
Im Interview, das ich vor dem Megamarsch mit Marschgründer Marco führe, verrät er das, was viele von uns in Muskeln und Knochen spüren. Das vollständige Interview liest du bei Facebook.
Halbzeit
Uff, das ging schnell. Kilometer 23 und Mindestziel erreicht. Meine Achillessehne belohnt mich dafür allerdings nicht, sondern arbeitet mit jedem Schritt weiter am Abbruch. Außerdem ist es schon weit nach Mittag und eine warme Mahlzeit scheint nicht in Sicht. „Gibt es an der nächsten Verpflegungsstation“, heißt es ständig. Inzwischen hat sich die Startermasse stark entzerrt, so dass es viel Luft nach vorne und hinten gibt. Teilweise fühle ich mich einsam. 🙂
Wo bleibt die Brühe?
Die Verpflegungsstationen (VPS) sind nach 10, 20, 30 und 37 km angesetzt – leider jeweils ohne die nötige und erwartete warme Suppe oder Brühe. An VPS 30 drehe ich innerlich am Rad. Meine Laune hängt noch tiefer als mein Magen. Das Setting mit Wasser, Bananen, Äpfeln, Schokoriegeln und Mini-Salami ist zwar ganz nett, aber eben nur ganz nett. ICH HABE HUNGER!
Zumindest eine Sache gewinne ich dem VPS-Dasein ab: Es gibt keine überflüssigen Plastik- oder Pappbecher. Wir Megamarschierenden füllen das Mineralwasser in unsere eigenen Flaschen um und hinterlassen so weder Müll noch Spucke, wo es nicht hingehört. 🙂
Mehr Höhenmeter, weniger Stimmung
Zu den 50 km Strecke kommen noch rund 1.500 Höhenmeter. Damit ist der Megamarsch Stuttgart bis dato der mit den meisten Höhenmetern. Und wo Hochs sind, sind auch Tiefs nicht weit. Hatte ich schon erwähnt, dass ich hungrig und pseudo-wehleidig bin?! Mimimi. „Laufen ist Kopfsache“ höre ich das Männchen in meinem Kopf. Einfach gesagt, wenn man satt und gemütlich-warm da im Oberstübchen sitzt. 🙂
Die traumhafte Landschaft entschädigt für den einen oder anderen „Messerstich“ in die Ferse. Vorbei an Apfelbäumen und durch den Schurwald geht es in die Nacht hinein. Erst etwa 17 Uhr dürfte es sein, doch die dunkle Glocke stülpt sich unaufhaltsam über uns. Zumindest kommt meine Stirnlampe zum Einsatz. Anmerkung: Die anderen beiden Investitionen (Suppenlöffel und Tasse für Tee, Kaffee oder Brühe) bleiben aus bekannten Gründen im Rucksack.
El grande Finale
Allen Widrigkeiten zum Trotz erreiche ich gemeinsam mit einer 62-jährigen Mitläuferin aus Balingen das Ziel des Stuttgarter Megamarschs: Plüderhausen. Mega-am-Arsch. Es ist 18.26 Uhr: rund 10,5 Stunden Laufzeit und 50,8 km sind seit dem Start am Cannstatter Wasen vergangen (höhö!). Ich küsse den roten Teppich und nehme die Finisher-Medaille entgegen. Bin mega glücklich, nicht abgebrochen zu haben. Ein fantastisches Gefühl! Yeah!!
Laut meines guten alten, analogen Schrittzählers darf ich mir 72.000+ Schritte aufs Laufkonto gutschreiben. Umgerechnet ergibt das mehr als 60 km, wobei ich beim besten Willen nicht weiß, wo die zusätzlichen 10 km herkommen. Na immerhin 3.500 Kalorien sollen auf der Strecke geblieben sein. Da hätte mir selbst Brühe nicht viel (zurück)gegeben. 🙂
Tickets und Anmeldung
Wie bei vielen Events dieser Art musst du bei der Anmeldung schnell sein. Tickets kosten 50 Euro und sind ratzefatz ausverkauft. Dazu gibt es ein Roadbook, eine Packliste, die Strecke als PDF oder GPS-Track und regelmäßige Updates bei Facebook. Später erhält du eine Medaille, eine Urkunde und einen Wanderpass, mit dem du dir einen Platz in der Hall of Fame erläufst.
Bewertung Megamarsch Stuttgart
Der Megamarsch Stuttgart ist ein super Erlebnis in einer richtig schönen Kulisse. Megamärsche gehen in der Regel über 100 km in maximal 24 Stunden, was mir persönlich (noch) etwas zu viel des Guten ist. Für die 50/12 brauchst du meiner Meinung nach keine besondere Vorbereitung, sondern nur etwas mehr innere Einstellung als sonst plus Blasenpflaster plus passende Schuhe. Meine Begegnungen, Gespräche und Erfahrungen mit den Mitmarschierenden sind so positiv, dass ich beim Megamarsch Stuttgart 2019 vermutlich wieder am Start bin – dann hoffentlich mit Brühe, sehr viel Brühe. 🙂 Wie es mir 2016 beim Wandermarathon im Westerwald geht und warum auch dort das Thema Essen ein ziemlich wichtiges ist, liest du hier.
Dein liebster Reiseblog für Deutschland ist beim Megamarsch Stuttgart unterstützt von Megamarsch-Macher Marco, der mir ein „Marschticket“ kostenlos zur Verfügung stellt. Weitere Megamärsche finden das ganze Jahr über in Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Berlin, Dresden, Bremen, Düsseldorf, auf Sylt und im Weserbergland statt.
Hi,
toller Bericht!! Und Respekt für die Leistung!!!!
War am letzten WE beim Mammutmarsch in München dabei, Ziel 100km in max. 24h
Aber nach 56km machten die Muskeln zu. Vermutlich zu viel trainiert in den Wochen davor und keine Pause kurz vorm Start. Dazu vermutlich zu wenig getrunken (nur 4,5 Liter in 11 Std)
Jetzt will ich den 100km Megamarsch in Stuttgart als Revanche rocken.
Aber finde nirgends die Route.
Als ehem. Megamarsch Starter die Frage, kannst du mir da helfen?
Hätte gerne die GPS Daten für Komoot.
Das wäre super.
In der Facebook Gruppe zum Megamarsch Stuttgart 2019 fand ich auch nichts.
Danke und wir sehen uns evtl. am Start, was ist mit dir?
Lets go….
VG Checker
Moin Checker,
Hut ab, dass du die 100 km angegangen bist. Davon bin ich noch eine Weile entfernt. Und noch stärker von dir, dass du in meiner Heimatstadt Stuttgart an den Start gehst. Die offizielle Route vom Megamarsch Stuttgart 2019 hatte ich schon gesehen, die müsste also auf der offiziellen Megamarsch-Seite zu finden sein. Dort sind die GPS Tracks eigentlich auch immer sauber eingepflegt.
Ich lasse mich spontan treiben, ob ich in Stuttgart nochmal dabei bin. 🙂
LG
Jan
Boah 50 km geht ja NOCH, aber innerhalb 12 Stunden wäre für mich wohl nicht zu schaffen. Meine Hochachtung! Ich bin da ein für alle Mal raus.
Also meinen herzlichen Glückwunsch und hoffentlich gibt es beim nächsten Mal die warme Brühe!
LG Elke
Hi Elke, es klingt aber wirklich erstmal schlimmer, als es ist. Die Herausforderung waren eher die Höhenmeter und nicht die Kilometer. In flachen Gelände wie beim Megamarsch Bremen oder so würdest du das auch schaffen. Wir können das ja nächstes Jahr gemeinsam angehen. 🙂 LG, Jan