Zum Thema Flüchtlinge hat ja irgendwie jeder eine Meinung. Es geht allerdings auch eine Stufe interessanter. Im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven kannst du echte Schicksale nach(er)leben.
Die Reise durchs Auswandererhaus startet mit einem Boarding Pass, durch den du zwei Identitäten annimmst. Die eines Auswanderers (in meinem Fall Carl Lämmle) und die eines Einwanderers (in meinem Fall Recep Keskin), deren echte (!) Lebensgeschichten sich en detail nachverfolgen lassen.
Die Reise beginnt
Wir Besucher warten vor der „Schleuse“, dem symbolischen Übergang vom Hier und Jetzt in die Neue Welt. Eine Ampel schaltet auf Grün, die Masse strömt ins Unbekannte.
Möwen kreischen, ein Schiffshorn trötet, aufgeregtes Menschengemurmel: die Hafenkulisse ist die erste im Auswandererhaus. Schön finde ich, dass du alles frei und ohne „Führungszwang“ anschauen und erleben kannst. Eine Besonderheit sind Familienführungen, bei denen du im wahrsten Sinne des Wortes „mitfühlen“ kannst. In sogenannten „Fülhfässern“ gibt es Schiffszwieback oder getrocknete Bohnen zu ertasten. Möge die Auswanderung weitergehen.
Schräglage
Knarrende Holzdielen, ne Schiffsglocke und schnarchende Passagiere: das Leben an Bord ist ziemlich atmosphärisch dargestellt. Du siehst verschiedene Schiffsarten und -klassen sowie deren Weiterentwicklung im Laufe der Jahre. Die Schräglage auf dem Foto ist übrigens in echt so. Bin gespannt, ob es dir vor Ort auffällt? 🙂
7 Millionen Schicksale
Highlight ist die sogenannte „Galerie der 7 Millionen“. Hier findest du rund 2.000 Auswanderergeschichten, also Geschichten von Personen, die es tatsächlich gibt bzw. gab. Keine Fakes wie bei deiner nachmittäglichen Scripted-Reality-Doku auf RTLII. Hier und jetzt kommt dein Boarding Pass ins Spiel. Karte an die Medienstation halten und neue Identität erkunden: „Carl Lämmle, wer bist du?“
Ab in die Neue Welt
Ein wichtiger Teil im Deutschen Auswandererhaus sind Abfahrt, Überfahrt und Ankunft in der Neuen Welt. Welcome to Ellis Island! Jetzt heißt es registrieren. Was heute dank Fingerabdruck einigermaßen schnell geht, ist 1892 etwas aufwändiger. 30 Fragen entscheiden darüber, ob du einwanderungstauglich bist. Zeit für die korrekte Beantwortung: 5 Sekunden pro Frage.
Einwandern in den 70ern
Natürlich spielt beim Thema Einwanderung auch der „Gastarbeiter-Strom“ nach Deutschland in den 60er-/70er-Jahren eine große Rolle. Dazu hat das Auswandererhaus ein typisch deutsches Einkaufszentrum nachgebaut u. a. mit einem original Frisörsalon von 1973. Mein Favourite ist der Kiosk, in dem ein echter Mitarbeiter drin steht. Kaugummi oder Eis für 10 Pfennig gibt es allerdings nicht – diese Zeiten sind endgültig vorbei 🙂
Faktencheck
Rund 200.000 Besucher pro Jahr kommen ins Deutsche Auswandererhaus. Im Juni 2015 ist die zweimillionste Besucherin dort. Etwa 2 bis 2,5 Stunden solltest du für deinen Besuch einplanen. Es gibt 18 verschiedene Boarding-Pässe, also 18 „Identitätenpaare“ wie meine beiden Carl Lämmle (1884 nach Amerika ausgewandert) und Recep Keskin (1967 aus der Türkei eingewandert).
Im Gegensatz zum Ticket in die Freiheit bzw. in die Neue Welt sind die Tickets für das Auswandererhaus erschwinglich. Rund 14 Euro kostet es für Erwachsene, rund 9 Euro für Kinder und ne Familienkarte macht 38 Euro. Der Preis ist für die Dauer, die du hier verbringst, recht hoch. Für den Erlebnisfaktor aber ziemlich angemessen.
Video-Interview mit Diab vom Auswandererhaus
In meinem Video erzählt Gästebetreuer Diab in nur 2 Minuten darüber, was dich im Ein-/Auswandermuseum erwartet und von seiner Lieblingsecke dort.
Bewertung Deutsches Auswandererhaus
Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven zeigt die Flüchtlingsthematik mal etwas anders, denn irgendwie sind wir ja alle mal ein- oder ausgewandert – zumindest unsere Vorfahren. Was mir richtig gut gefällt, ist die akustische Begleitung. Ständig hast du einen für die jeweilige Kulisse typischen Sound im Ohr. So bist du mittendrin statt nur dabei. Auch die Geschichte mit dem Boarding Pass und den verschiedenen Identitäten macht das Erlebnis richtig schön lebendig. Tolle Sehenswürdigkeit bzw. tolles Ausflugsziel, das du auf jeden Fall mal gesehen haben solltest. Spätestens dann wirst du Flüchtlinge und Co. mit anderen Augen betrachten.
Mein Tipp: Da du im Auswandererhaus nicht sooo lange brauchen wirst, machst du am besten einen Schlenker in den kleinsten Zoo Deutschlands (nur 2 Gehminuten entfernt), ins Klimahaus (nur 1 Gehminute) und/oder du bastelst ein ganzes Wochenende daraus und übernachtest im Atlantic Sail City Hotel Bremerhaven (Dubaifeeling an der Weser). Alle Sehenswürdigkeiten in Bremerhaven im Überblick habe ich dir hier zusammengestellt.
Oh das ist ja toll, vielen Dank für die tollen Impressionen. In das deutsche Auswandererhaus will ich schon lange mal. Dein Beitrag inspiriert mich den Besuch nun wirklich mal in Angriff zu nehmen. Ich war bisher nur im Klimahaus in Bremerhaven – auch das ist wirklich einen Besuch wert!
Viele Grüße,
Tanja
Vielen Dank, liebe Tanja. Das Auswandererhaus ist für mich eines der beeindruckendsten Museen in Deutschland. Solltest du auf jeden Fall nachholen. 🙂 LG Jan