Kennst du den Unterschied zwischen einem Kapitän und einem Schiffsführer? Ich nicht. Deshalb fahre ich nach Konstanz und lasse mich von Rocco Fazzari aufklären. Er ist nämlich Schiffsführer, aber kein Kapitän. Häh?
Keine Zeit oder keine Lust zu lesen? Dann schau dir direkt mein Video-Interview mit Schiffsführer Rocco an. Ansonsten findest du weiter unten viele interessante Antworten z. B. wie hoch Wellen auf dem Bodensee werden können, was „krängen“ bedeutet und warum sich Rocco „lieber“ in einem Hubschrauber sieht. 🙂
Video-Interview mit Schiffsführer Rocco
Im Video-Interview erzählt Rocco in weniger als 2 Minuten, worin der Unterschied zwischen einem Kapitän und einem Schiffsführer liegt und welche seine Lieblingsroute auf dem Bodensee ist.
Du bist ja eigentlich gar kein Kapitän…?!
„Nicht ganz, ich bin Schiffsführer. Ein Kapitän hat eine akademische Ausbildung. Der hat das Schiffe fahren quasi studiert. Wir Schiffsführer müssen uns klassisch hocharbeiten. Vom Hafenmatrose über den Decksmann, Matrose und Steuermann bis hin zum Schiffsführer. Das dauert etwa 10 Jahre. So lernst du dein Handwerk von der Pike auf, bekommst das richtige Gefühl für das Schiff und hast natürlich viel mehr Erfahrung.“
Bist du schonmal in eine brenzlige Situation gekommen?
„Nicht wirklich, aber Stürme sind schon eine Herausforderung. Es kann locker mal 2 bis 2,5 Meter Wellengang sein, der Bodensee ist nicht zu unterschätzen. Stürme kommen schnell, sind aber auch schnell wieder weg. Da musst du im Bruchteil einer Sekunde das Risiko einschätzen und entschieden, ob anlegen oder nicht. Wir hatten schon Situationen, da konnten wir auf dem Radar nicht einmal die Landestelle stehen. Das hieß dann für uns: sofort stehen bleiben. Auch wenn das sogenannte Anlanden immer kontrollierbar bleibt, sagt man sich im Nachhinein vielleicht ‚Das war jetzt aber eng. Vielleicht hätte ich etwas spitzer zur Landestelle hinfahren können. Oder etwas steiler.‘ Das sind dann solche Momente, in denen es vermeintlich brenzlig ist.“
Ist ein Schiff in Sachen Routine vergleichbar mit Auto fahren? Oder hast du noch dieses gewisse, besondere Feeling, wenn du ein Schiff führst?
„Routine darf nie aufkommen, sonst hat man ganz schnell einen Tunnelblick. Man weiß eigentlich nie, was einen erwartet. Jeder Tag ist anders. Immer andere Fahrgäste, ein anderes Schiff, eine andere Route, andere Wetterverhältnisse. Vielleicht geht einer von Bord, was mir jetzt noch nie passiert ist, oder es gibt einen Segler, der in Not gerät. Man weiß nie. Ein Schiff zu führen bleibt immer spannend.“
„Noch keiner ertrunken.“
Und wenn dann alles gut geht: Klatschen Leute im Schiff nach dem Anlegen eigentlich genau so gerne wie im Flugzeug nach der Landung?
„Es ist unser Job, die Urlauber sicher von A nach B zu bringen. Sind die Leute zufrieden, bin ich auch zufrieden. Aber klatschen wie im Flieger … das kommt bei uns eher selten vor.“ (lacht)
Was sind denn generell deine Aufgaben an Bord?
„Wie es der Name schon sagt … der Schiffsführer führt das Schiff. Er ist verantwortlich für Gastronomie, Besatzung und Technik. Eigentlich für alles, was auf dem Schiff geschieht. Beim Anlegemanöver sind wir immer zu zweit, ein Steuermann und ein Schiffsführer. Der Steuermann steuert vom Inneren des Schiffes an die Anlegestelle. Er manövriert das Schiff und bestimmt die Richtung. Der Schiffsführer bestimmt von außen die Geschwindigkeit. Wir beide müssen natürlich gut miteinander funktionieren. Die Verantwortung beim Anlegemanöver ist an sich zwar gleich hoch, aber das letzte Wort hat immer der Schiffsführer.“
Und jetzt mal ehrlich: Wie viele Fahrgäste sind schon unfreiwillig baden gegangen?
„Bei mir zum Glück noch keiner. (lacht) Bevor das passiert, fahren wir an den Landestellen vorbei. Gerade Richtung Obersee bzw. Richtung Lindau/Bregenz gibt es zwei, drei offene Landestellen, die je nach Wind ziemlich kritisch anzufahren sind. Wenn es zu riskant ist, sagen wir den Gästen durch, dass wir die Landestelle nicht anfahren und nehmen dann die nächste. Da darf man nichts riskieren.“
„Kannte nur die Autofähre.“
Wird man zum Schiffsführer geboren oder gibt es auch ein Leben davor?
„Ehrlich gesagt, hatte ich mit der Schiffsfahrt früher überhaupt nichts am Hut. Bevor ich zur BSB gekommen bin, kannte ich zwar Schiffe und den Bodensee, aber eigentlich nur die Autofähre. Gelernt habe ich Automechaniker, dann war ich eine Weile bei der Bahn tätig. Fast jeder von uns hat einen Handwerksberuf gelernt oder darin gearbeitet. Im Winter, wenn die Schifffahrt ruht, dann arbeiten wir in den Werften mit.“
Jetzt brauchst du ja nur noch einen Pilotenschein, dann hast du quasi alle Verkehrsmittel durch… 🙂
„Ja, so ein Hubschrauber wäre nicht schlecht…“ (lacht)
Checkst du eigentlich morgens deine Wetter-App, was dich wettertechnisch erwartet, um dich geistig schonmal auf Sturm oder Sonne vorzubereiten?
„Meistens lasse ich mich überraschen, denn fahren müssen wir ja sowieso. Ich schaue ganz normal in den Nachrichten, wie das Wetter wird, habe aber keine spezielle App oder so. Eigentlich muss ich nur wissen, ob ich morgens einen Regenmantel brauche oder nicht.“ (wir beide lachen)
Habt Ihr auf See bestimmte Rituale? Bus- und Straßenbahnfahrer blinken sich doch immer gegenseitig zu, wenn sie aneinander vorbeirollen…
„Immer, wenn ein Schiff vorbeifährt, dann wird gegrüßt. Einfach nur so locker mit der Hand. In der Nacht machen wir es mit der Festbeleuchtung des Schiffes, die dann kurz ein- und wieder ausgeschaltet wird. Das gehört auf See einfach mit dazu.“
Tausend Mitfahrer
Apropos Schiff. Wir befinden uns auf der MS München, bekannt als DAS Weihnachtsmarktschiff auf dem Konstanzer Weihnachtsmarkt. Wieviele Fahrgäste haben hier Platz?
„Insgesamt passen hier 1.000 Gäste drauf. Während des Weihnachtsmarktes sind es weniger, da verläuft es sich etwas. Dieses Jahr (Anm.: 2016) mussten wir sogar Leute am Steg draußen stehen lassen, weil das Schiff zu voll war. Bei 1.000 Menschen ist wirklich Schluss, mehr geht nicht. Ist wie beim Auto fahren: da passen halt 5 Leute rein und gut.“
Wenn ich mehr – oder zu viele – Leute im Auto mitnehme, merke ich das gleich. Dann komme ich kaum noch vorwärts. Ist das auf einem Schiff ähnlich?
„Auf jeden Fall. Das Schiff liegt natürlich völlig anders im Wasser und ist viel träger. Ich für mich habe lieber 1.000 Personen an Bord als nur 600. Bei 1.000 ist alles gut verteilt, aber bei 600 krängt das Schiff. (Anm.: Krängen bedeutet in der Seemannssprache, dass sich ein Schiff zur Seite neigt.) Ich hatte mal eine Situation in Friedrichshafen mit der MS Stuttgart. Da waren 900 Leute drauf und 200 sind ausgestiegen. Dann haben wir die Neigetreppe nicht mehr an Bord bekommen, weil die Fahrgäste fast alle auf einer Seite waren. Das Schiff hing seitlich und die Treppe war festgeklemmt. Ich musste dann eine Durchsage machen, dass sich die Leute bitte etwas mehr über das Schiff verteilen, dass wir endlich loskommen. (lacht) Das war schon eine lustige Situation.“
Vielen Dank an die BSB Konstanz für das Interview mit Rocco Fazzari!
Fahrzeiten und Preise der Bodensee-Schifffahrt
Die Preise für eine Schifffahrt auf dem Bodensee sind abhängig von der Länge bzw. der Dauer der Strecke: von Konstanz bis Bregenz bezahlen Erwachsene rund 18 Euro pro Fahrt (Kinder kosten die Hälfte). Von Konstanz nach Friedrichshafen sind es etwa 13 Euro und von Konstanz nach Meersburg rund 6 Euro. Neben Linienfahrten gibt es verschiedene Ausflugsfahrten an die Bregenzer Festspiele oder eine Silvester-Kreuzfahrt. Der Fahrplan ist logischerweise recht sommer-lastig: von etwa April bis Oktober ist die beste Zeit für eine Schifffahrt, im Winter haben auch die Schiffsführer Schicht im Schacht. „Dann machen wir Urlaub oder feiern Überstunden ab. Das regelt sich ganz gut von selbst“, so Rocco.
Mein Tipp: Falls du zur Weihnachtszeit in oder um Konstanz Urlaub machst, dann kommst du am Konstanzer Weihnachtsmarkt am See nicht vorbei (> zum Blogartikel). Auf der – im wahrsten Sinne des Wortes – anderen Seite erwarten dich die schönsten Sehenswürdigkeiten in Lindau (> zum Blogartikel).
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