Obwohl ich in meinem Leben die eine oder andere Verfehlung begehe, bin ich nie im Knast. In der Gedenkstätte Hohenschönhausen erlebe ich hautnah, wie es sich anfühlt, eingesperrt zu sein – teilweise zu Unrecht und unter Folter.
„Unnützes“ Wissen zur Gedenkstätte Hohenschönhausen
- Das ehemalige Gefängnis ist einst auf keiner einzigen Karte verzeichnet
- Echte Zeitzeugen, also ex-Insassen, geben heute noch Führungen
- Die DDR foltert hier mehr als 10.000 Häftlinge, teilweise jahrelang
Auf dem Weg Richtung Eingang weißt du gleich, was Sache ist und was dich erwartet. Um zum Besucherzentrum mit Kasse und „Knast-Shop“ zu kommen, begibst du dich durch die original Gefängnisgittertore. Gehe nicht über Los, ziehe keine 4.000 Euro ein. So bist du gleich volle Lotte mittendrin statt nur dabei.
Bitte Kopf einziehen
Während der Führung durch das ehemalige Stasigefängnis solltest du Demut zeigen: einerseits inhaltlich vor den ziemlich kranken Dingen, die hier passieren, andererseits vor den ziemlich niedrigen Zellentüren. Eine gebückte Haltung verhindert also noch mehr Schmerz. „Kopf einziehen“ bleibt mein Motto des Tages.
Verschiedene Besuchergruppen ziehen gleichzeitig ihre Runden durch das Innere der Gedenkstätte Hohenschönhausen. In die ex-Gefängnisbereiche kommst nur in Kombi mit einer Besichtigung rein. Alleine und frei bewegen is’ nich’, Knastfeeling eben.
Gedenkstätte Hohenschönhausen liegt auf dem Gelände der ehemaligen „zentralen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR“ in Berlin-Lichtenberg. Erst 1990, dank Mauerfall und Wiedervereinigung, schließt der Stasiknast zwangsläufig seine Tore. Als ich mir dessen bewusst werde, dass Leute psychisch und physisch gefoltert werden, während ich alltäglich in der Schule abhänge, wird mir schlecht.
Im U-Boot ohne Wasser
Na gut, eine Gefängniszelle soll ja weder Wellness noch Wohlfühlen ausstrahlen, aber als ich direkt drin stehe, fühlt es sich sehr beklemmend an. Kein schöner Gedanke, hier den ganzen Tag eingesperrt zu sein. Fast wie im Büro, außer eben ohne Feierabend. Weitere Parallele: Auch im Büro fange ich bei Langeweile an mit kryptischen Kritzeleien und halbkünstlerischem „Graffiti“.
Das einzige, das die Gefangenen im wahrsten Sinne des Wortes zu sehen bekommen, ist eine grelle Glühbirne hinter einem rostigen Gitter. Das Licht brennt durchgehend, klaro, sonst wäre es ja keine Psychofolter.
So wissen die Insassen nie, wann Tag und wann Nacht ist. Durch das Dauerlicht, das Geräusch der Belüftungsanlage und das Gefühl, „abgetaucht“ zu sein, entsteht der „kuschelige“ Kosename für den Zellentrakt: U-Boot.
Neubau ohne Komfort
Um 1960 wird ein Neubau errichtet. Klar, dass die Gefangenen ihr neues Eigenheim selbst bauen „dürfen“. Die „Bau“arbeiter stammen aus dem geheimen Arbeitslager X, das quasi umme Ecke liegt. Praktisch. Mehr als 100 Zellen und Vernehmungszimmer finden hier Platz, „immerhin“ haben die Gefängniszellen vergitterte Glasfenster.
Das Alarmsystem im neuen Trakt halte ich für genial. Was nach Billo-MacGyver-Konstruktion aussieht, ist ein ausgetüfteltes System aus Überputzleitungen. An den Flurwänden hängen rot-grüne „Kontaktdrähte“. Bei Alarm zieht der Wärter am Draht, der Kontakt wird getrennt und sorgt für wärterliche Verstärkung.
Unauffällig im Knastbus durch Berlin
Fast wie im Film: Um die Gefangenen mehr oder weniger unauffällig „frei Haus“ nach Hohenschönhausen zu liefern, setzt die Gefängnisleitung Transporter ein. Klar, dass du von innen nicht nach draußen siehst – und dass außen auf dem Bus zur Tarnung sowas wie „Fisch Müller“ oder „Blumen Schmidt“ steht.
Ungefähr eine Handvoll Gefangene werden absichtlich über Umwege durch die halbe Stadt in die Irre geführt gefahren, dass sie sich den Weg nach Hohenschönhausen nicht einprägen. Hier frage ich mich, ob Hollywood diese Thriller-Elemente von der Realität kopiert oder andersherum.
Kranke Methoden im Verhörraum
Ähnlich verhält es sich mit den vielfältigen Verhörräumen im Stasiknast. Als ich einen davon betrete – er riecht übrigens stark nach Mißtrauen und Verrat – ist mir klar, wo der zu Verhörende sitzt. Am Tisch? Pustekuchen! Er „darf“ kleinkindartig auf einem Hocker in der Ecke kauern.
Während der „erkennungsdienstlichen Behandlung“ werden die Häftlinge stundenlang ignoriert. Auch ziemlich sick: Während die „Verräter“ auf neue Informationen warten, führen die „Verhörer“ gefakte Telefonate, in denen es darum geht, dass ein/e Verwandte/r des Häftlings im Krankenhaus liegt oder tot ist. Fake News auf Stasi-Art. Psychotrick allererster Güte.
Dauerausstellung im alten „Bau“
Etwas seichter – mit mehr Distanz zu Zellen und Verhörräumen – geht es in der Dauerausstellung im alten Gefängnisbau zu. Hier siehst du allerhand Knastkrams von damals wie Sträflingskleidung und Wärterausrüstung. Auch persönliche Schicksale sind in der Gedenkstätte Hohenschönhausen dokumentiert. Eine bestimmte Geschichte berührt mich besonders.
Sigrid Paul wird im Alter von 28 Jahren verhaftet, weil sie zu ihrem kranken Neugeborenen nach West-Berlin will. Die Stasi sperrt sie wegen „Beihilfe zur Republikflucht“ ein. Als sie ihren Sohn fünf Jahre später zum ersten Mal in Ost-Berlin trifft, sagt der 5-Jährige „Sie“ zu ihr. Traurige Geschichte, die Sigrid Paul ab 1994 als Gästeführerin in der Gedenkstätte Hohenschönhausen persönlich erzählt. 2011 stirbt sie.
Preise, Öffnungszeiten, Anfahrt
Die Öffnungszeiten der Gedenkstätte Hohenschönhausen sind einfach zu merken: täglich 10 bis 16 Uhr, wobei um 16 Uhr die letzte Tour beginnt. Teilweise tummeln sich mehr als 100 Besucher – durch die ehrenamtlichen Mitarbeiter in mehrere Gruppen aufgeteilt – auf dem Gelände der Gedenkstätte. Zweistündige Führungen finden etwa alle halbe Stunde statt, die Kosten dafür sind bereits im Eintrittspreis enthalten. Die Preise für Erwachsene betragen faire 6 Euro, für Ermäßigte wie Studenten werden 3 Euro für Tickets fällig und Schüler bzw. Kinder zahlen nur 1 Euro pro Ticket. Lohnt sich.
Da die Anfahrt mit dem Auto und parken um die Gedenkstätte herum eher schwierig ist, empfehle ich dir die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich nutze die Tram M5 bis zur Haltestelle „Freienwalder Straße“ (Obacht: BVG-Bereich B). Vom Alex aus dauert es etwa eine halbe Stunde, vom Ostkreuz aus etwa 20 Minuten.
Bewertung Gedenkstätte Hohenschönhausen Berlin
Für mich ist die Gedenkstätte Hohenschönhausen ein richtig wichtiger Aufklärungsort. Als klassischen Ausflugstipp oder klassische Sehenswürdigkeit sehe ich es nicht, dafür ist das Thema (für mich) noch zu greifbar. Ohne mit dem Zeigefinger oberlehrerhaft in die Luft zu zeigen, wünsche ich mir, dass künftige Generationen sich bewusst bleiben, dass es so eine Zeit und solche Methoden nie wieder geben darf. Der rationale Part meines Gehirn „weiß“ allerdings, dass jede Zeit wieder kommt und dass es in anderen Ländern genau so zugeht. Auf jeden Fall ist das ex-Stasigefängnis in Hohenschönhausen ein wirkungsvolles Ausflugsziel zum Einfühlen und Nacherleben.
Mein Tipp: In Berlin gibt es unglaublich viele Sehenswürdigkeiten, die noch greifbar sind – nicht so wie die schwarz-weißen Weltkriegsdoku-Klassiker auf ntv. Noch mehr DDR-Feeling erlebst du im Stasimuseum (sehr gut > zum Blogartikel) und im DDR-Museum (ist okay > zum Blogartikel).
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